Impulspapier

NRW vor dem zweiten Corona-Herbst: „Öffnung stabilisieren - Krisenfestigkeit erhöhen“

Die NRW-Wirtschaft sorgt sich erneut vor einem von der Corona-Pandemie bestimmten Herbst 2021. Das Hin und Her der Debatte über Öffnungen, über 3-G oder 2-G-Regel und die regional sehr unterschiedliche Handhabung verunsichern die Unternehmen, die ohnehin weiter Beschränkungen unterliegen und bereits mit Liquiditätsproblemen, unterbrochenen Lieferketten und steigenden Rohstoffpreisen zu kämpfen haben. Für die Wirtschaft in NRW sind nun angepasste und einfache Corona-Regeln und die Erhöhung der Krisenfestigkeit wichtig. In einem neuen Impulspapier hat IHK NRW die Anforderungen und Vorschläge der Wirtschaft zum Herbst formuliert. 

„Einen weiteren Shutdown im Herbst können sich viele Unternehmen nicht leisten. Gerade im Gastgewerbe oder der Touristik können viele noch immer nicht rentabel öffnen. Vielmehr sollte jetzt geprüft werden, wie den Unternehmen, trotz der möglicherweise im Herbst wieder steigenden Infektionen, wieder mehr ermöglicht werden kann“, sagt Ralf Stoffels, Präsident von IHK NRW. Die Erfahrungen aus über einem Jahr mit der Pandemie und der über die Impfungen gewonnene Handlungsspielraum sollen dabei als Grundlage für sichere Öffnungsperspektiven z. B. für Feste, Märkte, verkaufsoffene Sonntage und andere Veranstaltungen genutzt werden. 

Klare und bundesweit einheitliche Regelungen zu 2G/3G könnten den Unternehmen mehr Spielraum schaffen. Wettbewerbsverzerrungen durch abweichende Regelungen zwischen einzelnen Bereichen, wie etwa zwischen Clubs und Gastronomie, gelte es zu vermeiden.

Stoffels erklärt: „Über klare 2G/3G-Regelungen sollten alle Betriebe, ob groß oder klein, und branchenunabhängig gleichermaßen Sicherheit hinsichtlich arbeitsrechtlicher Vorgaben, Impfauskünften und AHA-Regeln erhalten. Unternehmen sind darauf angewiesen zu wissen, wer im Betrieb geimpft ist. Nur so können sie ihrer Fürsorgepflicht auch nachkommen. Deswegen organisieren viele Unternehmen auch eigene Impfangebote für ihre Mitarbeitenden.“ Mit dem Wegfall der kostenlosen öffentlichen Tests im Oktober sollte auch die Testverpflichtung in den Unternehmen entfallen. Gerade kleinere Unternehmen hätten oft nicht die nötigen Kapazitäten, beaufsichtigte Arbeitgebertests durchführen zu können.

Gleichzeitig sollte die Zeit genutzt werden, um die Krisenfestigkeit der Wirtschaft für die Zukunft zu erhöhen. Neben einheitlichen Regelungen sind dafür digitale Lösungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs im Einklang mit dem Gesundheitsschutz notwendig. Passgenaue Fördermaßnahmen können den Weg aus der Krise ermöglichen.

Vorschläge zum Herbstbeginn: „Öffnung stabilisieren - Krisenfestigkeit erhöhen“

Die IHKs in NRW haben die aktuelle wirtschaftliche Situation nach den Sommerferien analysiert und die Anforderungen der Wirtschaft zum Herbstbeginn im zweiten Jahr der Corona-Pandemie formuliert. 

Wirtschaftliche Situation nach den Sommerferien

  • Aktuell läuft die Konjunktur noch stabil, allerdings mehren sich die Sorgen vor einer Abkühlung im Herbst (ifo-Index NRW für September). Sorge bereiten den Unternehmen vor allem die Preise bei Rohstoffen, in der Logistikkette und der Mangel an Vorprodukten sowie die wachsende Inflationsgefahr. IHK-Konjunkturumfragen zeigen, dass dem Fachkräfte-Engpass wieder eine zunehmende Bedeutung beikommt.
  • Eine Umfrage der IHKs im August zeigt (DIHK August 2021): Die Lieferengpässe sorgen für Einschränkungen im Betriebsablauf, höhere Einkaufspreise, längere Wartezeiten auf bestellte Waren und Rohstoffe und ein gestiegener Planungsaufwand: 42 Prozent der Unternehmen können bestehende Aufträge nicht abarbeiten, 17 Prozent müssen neue Aufträge bereits ablehnen. Ein Viertel der Unternehmen muss aufgrund der Lieferschwierigkeiten seine Produktion drosseln oder sogar stoppen. Bei 43 Prozent der Unternehmen führt die aktuelle Situation zu Umsatzausfällen. Hier ist auch die Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefordert.
  • Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise konzentrieren sich derzeit auf die Gastronomie, das Beherbergungsgewerbe, die Reisebranche sowie die Freizeit- und die Veranstaltungsbranche, also die Branchen, in denen die Geschäftstätigkeit weiter eingeschränkt ist oder bei denen sich wie bei körpernahen Dienstleistungen viele Kunden zurückhalten. Auch der innerstädtische Handel ist vielfach noch nicht zu Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Der Sommer hat kaum zur Entspannung geführt, vielfach bleiben die Geschäfte unrentabel.
  • Das Hin und Her der Debatte über Öffnungen, über 3-G oder 2-G-Regel und die regional sehr unterschiedliche Handhabung verunsichern die Unternehmen, zumal absehbar wird, dass im Herbst mit steigenden Infektionen zu rechnen ist.
  • Das bedeutet für die Betroffenen weitere Monate der Unsicherheit. Die Verlängerung der Überbrückungshilfen war daher wichtig.

Corona verschärft den Fachkräftemangel

  • Die Unsicherheit zeigt sich unter anderem bei den Bewerberinnen und Bewerbern auf dem Ausbildungsmarkt. Aktuell stehen in NRW jedem bei der Agentur für Arbeit gemeldeten Bewerber 1,5 offene Ausbildungsplätze zur Verfügung, regional gibt es teilweise sogar mehr als vier Ausbildungsangebote pro Bewerber. Unter dem Strich verzeichnen die IHKs in NRW 45.839 neue Ausbildungsverträge und damit wieder über 2.000 (4,7 %) Plätze mehr als noch im Vorjahr (Stand: 31.07.21). Jedoch ist das Niveau von vor der Krise noch nicht erreicht und viele angebotenen Ausbildungsplätze konnten noch nicht besetzt werden.  
  • Vor zunehmenden Problemen stehen die von der Pandemie stark gebeutelten Branchen: das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die Veranstaltungsbranche. Viele Unternehmen in diesen Branchen suchen händeringend nach Bewerberinnen und Bewerber. Ohne in der aktuellen Situation eine dauerhafte Perspektive darstellen zu können, entscheiden sich die jungen Menschen zunächst eher gegen eine Beschäftigung in diesen Branchen. Gleichzeitig haben die Unternehmen mit der einsetzenden wirtschaftlichen Erholung Probleme ihren Fachkräftebedarf zu decken. Der Nachwuchs, das heißt jede Ausbildungsstelle, die heute nicht besetzt werden kann, fehlt der Wirtschaft als Fachkraft schon in wenigen Jahren. Gemeinsam sollten daher alle Partner am Ausbildungsmarkt, neue Initiativen ergreifen und bei den Schülerinnen und Schülern für die Chancen der dualen Ausbildung werben.

Corona-Regeln in den Unternehmen vereinfachen

  • Nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre erwarten viele Unternehmen und weite Teile der Bevölkerung eine baldige Verschärfung der Regelungen nach der Bundestagswahl. Viele, insbesondere Jüngere vertrauen der Entwicklung nicht – wie der Ausbildungsmarkt zeigt.
  • Die Abkehr von den Inzidenzstufen und dem Inzidenzwert als alleinige Zielgröße war daher wichtig und hat vielen IHK-Unternehmen mehr Sicherheit gebracht.
  • Dennoch blicken viele Menschen täglich gebannt auf die Veröffentlichung der Inzidenzwerte. In der aktuellen Krisenphase sollte deutlich kommuniziert werden, warum der Anstieg der Inzidenzen heute anders zu bewerten ist als noch im Frühjahr. Der über die Impfungen gewonnene Handlungsspielraum sollte deutlich herausgestellt und als Grundlage für sichere Öffnungsperspektiven dienen.
  • Unter Anwendung der erforderlichen Hygieneregelungen (3G, 2G) sollten nun auch über Landesregelungen Feste, Märkte, verkaufsoffene Sonntage und andere Veranstaltungen eine sichere Perspektive erhalten. Dabei sollten Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Branchen etwa zwischen Gastronomie und Clubs durch die Anwendung der 3G/2G-Regelungen vermieden werden.
  • Die Diskussion über Testen und Impfen verlagert sich zunehmend in die Belegschaften und schürt dort das Misstrauen unter den Kolleginnen und Kollegen. Viele Unternehmen engagieren sich für Impfangebote für ihre MitarbeiterInnen. In vielen Unternehmen konnten so die Belegschaften annähernd bis vollständig geimpft werden. Dies sollte Niederschlag auf den Umgang und die Beachtung der AHA-Regelungen in den Betrieben finden.
  • Die Unternehmen sind dafür auf das Wissen angewiesen, wer im Betrieb geimpft ist, um im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht die Hygienemaßnahmen besser auf die Situation im Betrieb ausrichten zu können (vgl. Bergische IHK). Eine Impfauskunft ist zudem erforderlich, wenn der Erstattungsanspruch für Nicht-Geimpfte im Quarantänefall wegfällt. Sorge bereitet den Unternehmen die Entwicklung, wenn es keine kostenfreien Tests mehr gibt und das Testangebot in der Fläche wegzubrechen droht. Gerade kleinere Unternehmen können keine beaufsichtigten Arbeitgebertests durchführen. Und auf dem Land fährt man dann schnell 30 - 40 km bis zum nächsten Testzentrum.

Krisenfestigkeit erhöhen

  • Über die Diskussion zur Impfkampagne sind viele Bemühungen zur Stärkung der Krisenfestigkeit aus dem Fokus geraten. Noch immer lassen wir uns von der Krise treiben, obwohl durch die Impfungen und technische Möglichkeiten die Handlungsmöglichkeiten gewachsen sind und wir wissen, wie eine Rückkehr der Krise präventiv verhindert werden kann.
  • Daher sollten nun in einer Task Force, das bestehende Instrumentarium wie bspw. die Maßnahmen zur Nachverfolgung auf ihre Effektivität überprüft, digitale Angebote in der Verwaltung ausgebaut und die Struktur der Krisenkommunikation gestärkt werden.
  • Sonderprogramme wie „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“ helfen dem Einzelhandel weiter, sich in der Krise (weiter) zu digitalisieren und Umsatzausfälle zu kompensieren, sollten in der Umsetzung aber deutlich beschleunigt und vereinfacht werden.
  • Die Erfahrungen der Flutkatastrophe zeigen erneut, dass die Anforderungen des Vergaberechts oder des Datenschutzes an die Handlungserfordernisse in Krisen angepasst werden müssen, etwa um die Probleme bei der Beschaffung und Verteilung von Bautrocknern genauso zu vereinfachen wie die von Lüftern für Schulklassen in Grundschulen und Kindergärten, zum Schutz der Jüngsten, die absehbar nicht geimpft werden können.
  • Aus der IHK-Organisation bieten wir an, die Plattform Protect [X] (https://protectx.online/) gemeinsam zu einer Krisenpräventionsplattform auszubauen. Die Plattform bringt Anbieter und Nachfrager krisenrelevanter Produkte, qualitätsgesichert und zu einem Zeitpunkt in einer Krise zusammen, zu dem der Markt das noch nicht von allein regeln kann. Um für die kommende Krise gewappnet zu sein, sollte die Plattform nun zu einer umfänglichen Krisenpräventionsplattform für NRW ausgebaut werden. Auch um wie etwa in der Flutkatastrophe freiwillige Angebote mit den Bedarfen vor Ort zusammen bringen zu können.
IHK NRW ist der Zusammenschluss der 16 Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen. IHK NRW vertritt die Gesamtheit der IHKs in NRW gegenüber der Landesregierung, dem Landtag sowie den für die Kammerarbeit wichtigen Behörden und Organisationen.