IHK NRW stellt Jahresbericht 2022/23 vor

„Die Krisenbewältigung enthebt uns nicht, unsere Hausaufgaben im Land zu machen“

Frage: Herr Stoffels, nach drei Jahren der Krise, wie schätzen Sie die Aussichten für das noch junge Jahr ein?
Antwort: In den Unternehmen waren die vergangenen Jahre von der Bewältigung der akuten Krisen beherrscht: Corona, die Folgen des Krieges Russland gegen die Ukraine, die enormen Preisanstiege für Energie und Rohstoffe sowie die Störungen in globalen, wie lokalen Lieferketten haben überdeutlich die Verletzlichkeit unserer NRW-Wirtschaft aufgezeigt. Zum Jahresende hat sich die konjunkturelle Entwicklung in Nordrhein-Westfalen leider deutlich verlangsamt. Und auch wenn Dank vielfältiger staatlicher und privater Anstrengungen das Schlimmste verhindert werden konnte, zeigt sich: Unser Wohlstand ist kein Selbstläufer. Als Energie- und Industriestandort ist NRW von den aktuellen Krisen besonders betroffen. Die Krisenbewältigung enthebt uns daher nicht, unsere Hausaufgaben im Land zu machen.
Frage: Am Energiemarkt scheint sich zuletzt die Lage zu entspannen. Können die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung nun die Wende bringen?
Antwort: Wirklich sehr beruhigend ist, dass eine echte Mangellage bei der Gasversorgung im Winter 2023 wohl verhindert werden konnte. Diese wäre in ihren Folgen unkalkulierbar gewesen. Nicht vergessen werden darf allerdings, dass die nur durch den Produktionsverzicht vieler Unternehmen gerade in NRW erreicht wurde.
Mit den Energiepreisbremsen und den Härtefallhilfen hat die Bundesregierung zunächst richtig reagiert. Leider zeichnet sich nun ab, dass die Hilfen, nicht wie gehofft, bei den Unternehmen ankommen werden. Über den Jahreswechsel haben viele Unternehmen die Hilfen geprüft. Deutlich wird, dass die Antragsvoraussetzungen nicht für alle passen und daher auch nicht die notwendige Entlastung bringt. Hier sollte geprüft werden, wie kurzfristig nachgebessert werden kann.
Frage: Dann erwarten Sie, dass wir auch im neuen Jahr nicht aus dem Krisenmodus kommen?
Antwort: Eine echte Entspannung ist letztlich nur zu erreichen, wenn sich das Energieangebot erhöht. Unsere Unternehmen schauen über den Winter hinaus auf die langfristige Energieversorgung. Die Kombination aus Kriseninterventionen und Abschaltplänen hat viele verunsichert. Die Unternehmen benötigen Vertrauen, dass durch den zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien der Übergang in die Strom- und Wasserstoffwirtschaft gelingt. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit müssen die Planungen überprüfbar und belastbar sein, damit die Unternehmen langfristig investieren können.
Frage: Kann der Wandel angesichts der Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren oder fehlender Fachkräfte überhaupt noch gelingen?
Antwort: Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist klar geworden, dass es mehr aktives Handeln braucht - in der Sicherheitspolitik, wie auch bei der strategischen Energie- und Industriepolitik. Deutlich wird das auch beim Fachkräftemangel. Der demografische Wandel steht nicht mehr vor der Tür, der trifft den NRW-Arbeitsmarkt heute hart. Durch den Mangel an Fachkräften verlieren wir Zukunftschancen, zunehmend fehlen auch ganz konkrete Leistungen am Markt: in der Pflege, der Produktion, im Bau, im Service und im Transportsektor.
Doch nun scheint etwas in Bewegung geraten zu sein. Der Ausbau der LNG-Terminals und die Sicherung der Gasversorgung zeigen, dass es im Prinzip schnell gehen kann. Auch die Diskussion um die Fachkräftesicherung hat in Berlin und Düsseldorf Fahrt aufgenommen. Diese Dynamik müssen wir nutzen und auf andere Projekte übertragen.
Frage: Was braucht es denn, um den Knoten zu lösen?
Antwort: Ich glaube, dass bereits ein breiter gesellschaftlicher Konsens für den Wandel besteht. Die Menschen sind nicht mehr bereit, die Verzögerungen bei Planung, Genehmigung und Umsetzung hinzunehmen. Das erleben wir bei vielen Bauvorhaben vor Ort, etwa wenn Unterricht ausfällt, weil eine Schulsanierungen nicht vorankommt, oder wenn aufgrund maroder Brücken ein Verkehrschaos ausbricht. Im Digitalzeitalter ist es nicht mehr nachvollziehbar, dass digitale Angebote in der Verwaltung nicht vorankommen.
Frage: Wie kann das denn gelingen? Denn im Einzelfall bleiben die Konflikte doch bestehen.
Antwort: Bei der Umsetzung verlieren wir häufig das Ziel aus dem Fokus und wir verlieren uns im Kleinklein. Als Sauerländer erlebe ich die Probleme in Lüdenscheid hautnah. Die Situation in der Stadt ist für Bürger, Beschäftigte und Unternehmen untragbar. Die Region ist zu allem bereit, um den Bau zu beschleunigen und zu verhindern, dass eine ähnliche Situation noch einmal passiert.
Angesichts des Ausmaßes an Veränderungen, die die digitale und nachhaltige Transformation erfordern, müssen jetzt die Grundlagen gelegt werden, um unseren Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen zukunftsfest zu machen. Es darf nicht erst gehandelt werden, wenn erneut eine Katastrophe eingetreten ist. Bei unseren Infrastrukturen brauchen wir eine bessere Vorausschau und bessere Vorsorge.