100 Tage nach der Landtagswahl

„NRW vor der Rezession: der Krise begegnen, den Standort voranbringen“

Zum Ablauf der ersten 100 Tage der Regierungszeit von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst äußert sich Ralf Stoffels, Präsident von IHK NRW:
„Sicherheit und die Versöhnung des Klimas mit der Industrie hat Ministerpräsident Hendrik Wüst in seiner Antrittsrede im Juni verkündet. Rund 100 Tage nach der schnellen Regierungsbildung hat die Krise die NRW-Wirtschaft erfasst. Drastisch gestiegene Energiepreise stellen branchenübergreifend immer mehr Unternehmen vor existenzielle Probleme. Die Preise, Inflation und Engpässe bei Fachkräften und Rohstoffen machen den Unternehmen immer mehr zu schaffen.
Aus meiner Sicht konnte der gute Gesprächsfaden der Wirtschaft zur neuen Landesregierung über die Industrie- und Handelskammern schnell aufgenommen und sehr gut fortgeführt werden. Es wurde viel zugehört und viel der aktuellen Brisanz verstanden, jetzt muss aber auch die konkrete Umsetzung und die Unterstützung in dieser dramatischen Lage erfolgen. Für Themen, die nicht auf Landesebene alleine zu lösen sind, muss sich die Landesregierung in Berlin ausreichend Gehör verschaffen.
Oberste Priorität hat die Verringerung des Preisdrucks auf den Energiemärkten. Verlässliche und bezahlbare Energie ist die Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften. Ein Mehr an Energieerzeugung ist der beste Weg zur Preisdämpfung. Dazu sollte das gesamte verfügbare Angebot zur Energieerzeugung genutzt und wettbewerbsfähig ausgerichtet werden.
Zum Winter müssen wir uns darauf gefasst machen am Rande einer Rezession zu stehen. Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen, dass die Wirtschaftsleistung im zweiten Halbjahr 2022 weiter nachlassen wird. Jetzt kommt es darauf an, dass die Hilfs- und Beratungsangebote schnell einsatzfähig werden und die Anforderungen der kleinen und mittleren Unternehmen angehen.
Auch wenn sich die Lage über den Sommer entspannt hat und es aktuell immer noch ist: die Corona-Pandemie ist keineswegs überwunden. Die Befürchtung vor steigenden Infektionszahlen sorgt bei Verbrauchern und Unternehmen für Zurückhaltung bei Planungen etwa bei Reisen und Festivitäten im Herbst und Winter und Rückstellung von Investitionen.
Schließlich dürfen wir die langfristigen Grundlagen für Wachstum, Wohlstand und die Bewältigung der nachhaltigen Transformation bei der Bewältigung der aktuellen Krise nicht in den Hintergrund treten lassen:
Der Weg in ein klimaneutrales Industrieland kann nur mit einer deutlichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbare Energien gelingen. Hierfür braucht es neue, schnelle Verfahren zur Planung, Genehmigung und Umsetzung, die die Investitionsbedingungen im Mittelstand gleich mitdenken.
Die Anforderungen aus der Transformation an unsere Standorte – insbesondere die Innenstädte und ihre Verflechtungsräume – sind noch kaum erfasst. Absehbar erfordert die nachhaltige Transformation ein stärker vernetztes Handeln.
Der demografische Wandel erfasst den Arbeits- und Ausbildungsmarkt NRW und verschärft die Suche nach Fachkräften in den Unternehmen. Mit einer breiten Fachkräfteinitiative gilt es, alle Potenziale für den Arbeitsmarkt in NRW zu erschließen.
Als rohstoffarmes Land bleibt die NRW-Wirtschaft auf den Welthandel angewiesen. Nun gilt es, Rückschlüsse aus der neuen Realität auf den internationalen Märkten für NRW zu ziehen.
Selten waren die Herausforderungen für eine Landesregierung größer als jetzt. Ohne einen grundlegenden Mentalitätswandel wird die Transformation in den gesetzten Zeiträumen nicht gelingen. Wir hoffen auf politische Entscheidungen, die der Wirtschaft in NRW die Sicherheit und Zuversicht geben, sie zu bewältigen und sich für die klimaneutrale Zukunft wettbewerbsfähig aufzustellen.“